Kirchliche Umweltgruppen 1970 – 1990

Ökologieseminar 1989 vor der Andreaskirche, Schwerin

Ausgangssituation
Die zunehmende Umweltzerstörung in der DDR wurde Ende der 1970er Jahre immer offensichtlicher. Abgase von Fabriken stiegen ungefiltert in die Luft, giftige Industrieabwässer gelangten in Flüsse und Seen, saurer Regen führte zum Absterben der Wälder und auf Lebensräume von gefährdeten Tieren und Pflanzen wurde keine Rücksicht genommen. Doch den offiziellen Verlautbarungen der SED-Führung zufolge gab es in der DDR keine gravierenden Umweltprobleme. Verschmutzte Gewässer, Smog und Waldsterben kannten die DDR-Bürger angeblich nur aus dem Westfernsehen. Ende der 1970er Jahre begannen sich vor allem junge Menschen verstärkt für den Umweltschutz in der DDR einzusetzen und Waldsterben und Luftverschmutzung öffentlich anzuprangern. Dieses – den staatlichen Interessen zuwider laufendes Engagement – rief jedoch die politische Geheimpolizei der DDR, das Ministerium für Staatssicherheit, auf den Plan, das die Aktivistinnen und Aktivisten als "feindlich-negativ" einstufte und verfolgte.
Die zahlreichen Verfolgungsmaßnahmen konnten jedoch ein Anwachsen der Protestbewegung nicht verhindern. Ende der 1980er Jahre agierten in der DDR 60 bis 70 Umweltgruppen, die sich regional und überregional für den Umweltschutz einsetzten. Innerhalb der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Mecklenburgs, die den Gruppen oft als Schutzraum für ihre Aktivitäten diente, engagierten sich in den 1980er Jahren etwa 15 Basisgruppen in verschiedenen Städten und Gemeinden. Auch Schwerin wurde zu einem Zentrum des Protestes gegen die Umweltzerstörung.


Kirchliche Umweltarbeit in Schwerin

Baumpflanzaktionen
In Schwerin begann 1979 eine der ersten Umweltgruppen in der DDR, sich unabhängig von staatlichen Vorgaben für den Umweltschutz einzusetzen. Die damals 17jährigen Schüler Jörn Mothes, Nikolaus Voß und Olaf Naasner organisierten im Rahmen eines kirchlichen Jugendwochenendes vom 16. – 18. November 1979 eine Baumpflanzaktion, zu der etwa 50 Jugendliche anreisten. Sie pflanzten entlang der neuen Straßenbahntrasse im Schweriner Plattenbaugebiet "Großer Dreesch" ungefähr 5.000 Bäume und Sträucher, die vom Schweriner "VEB Grünanlagen" geliefert wurden. Der Leiter des Betriebes war entgegen der damaligen staatlichen Erwartungshaltung zur Zusammenarbeit mit der kirchlichen Gruppe bereit.
Im Frühjahr 1987 wurde diese Aktion von Schweriner Umweltaktivistinnen und -aktivisten erneut aufgegriffen: Entlang der Straßenbahnhaltestelle Keplerstraße – in der Nähe der Petruskirche – wurden ebenfalls Bäume gepflanzt. Ziel war es, auf die mangelnde Begrünung besonders in den Plattenbaugebieten aufmerksam zu machen. Um die Menschen in unmittelbarer Nachbarschaft für die Aktion zu sensibilisieren, klingelten einige Teilnehmer der Pflanzaktion in nahestehenden Blöcken an den Wohnungstüren. Sie baten um gefüllte Waßereimer zum Angießen der Bäume und informierten auf diese Weise über die Pflanzarbeiten.


Ökologieseminare

Die erste Schweriner Umweltgruppe lud darüber hinaus vom 11. – 15. Februar 1981 Intereßierte zu einem Ökologieseminar nach Schwerin unter dem Thema "Landwirtschaft – unsere Umwelt" ein. Die Teilnehmer informierten sich über die von offizieller Seite abgestrittenen oder bagatellisierten Umweltprobleme in der Landwirtschaft, tauschten Erfahrungen in der kirchlichen Umweltarbeit aus und nutzten die Gelegenheit, Kontakte zu anderen Umweltgruppen aufzubauen.
In der Folgezeit wurden viele weitere ökologieseminare organisiert, vor allem unter der Federführung von Annette Beleites. Die junge Biologin hatte 1984 eine neue Ökologiegruppe in Schwerin ins Leben gerufen, die auf die regionalen und überregionalen Umweltprobleme in der DDR mit vielfältigen Aktionen aufmerksam machte. Außerdem beteiligten sich einzelne Engagierte an verschiedenen lokalen und DDR-weiten Netzwerken der Friedens- und Umweltbewegung. Die Ökologiegruppe wirkte unter dem Dach der Kirche bis 1990 und 1991 als eigenständige Umweltgruppe innerhalb der Grünen Liga.
Die Gruppe arbeitete projektbezogen mit verschiedenen Schweriner Kirchgemeinden zusammen. Dazu gehörten die evangelische Petrusgemeinde auf dem Großen Dreesch, die Versöhnungsgemeinde in Schwerin-Lankow und die Paulsgemeinde in der Schweriner Innenstadt. Auch die katholischen Gemeinden St. Andreas auf dem Großen Dreesch und St. Anna in der Schweriner Innenstadt standen den Anliegen der Umweltgruppe aufgeschloßen gegenüber und stellten ihr bei Bedarf ihre Räumlichkeiten zur Verfügung.
Zu der Gruppe gehörten 6 bis 10 umweltengagierte junge Menschen mit und ohne Gemeindezugehörigkeit, die sich meist wöchentlich in privaten Wohnungen trafen. Zu den Themen zählten der Austausch und die Verbreitung von Informationen über den Zustand der Umwelt, Möglichkeiten für umweltbewusstes Handeln unter den gegebenen gesellschaftlichen Bedingungen und die Vorbereitung von regionalen und überregionalen Aktionen und Veranstaltungen. Mit Beginn des Jahres 1989 bekam die Umweltgruppe regen Zulauf von Intereßierten, die sich außerhalb staatlicher Vorgaben aktiv für den Umweltschutz einsetzen wollten. Bereits im Januar 1989 konnten innerhalb des Ökologiekreises acht Untergruppen gebildet werden, die sich u. a. mit Stadtbegrünung, Fahrradwegen, Müllproblemen oder der Vorbereitung weiterer Aktionen beschäftigten.
Ein Schwerpunkt in der Arbeit der Gruppe bildeten die Ökologieseminare, auf denen jährlich an einem Wochenende in Schwerin zu einem thematischen Schwerpunkt über lokale und überregionale Umweltprobleme informiert und diskutiert wurde.
Beispielhaft sind zu nennen:

IV. Ökologieseminar 1985
19. – 21. April 1985
Gemeindehaus der Versöhnungskirche Hubertusstr. 9 in Schwerin-Lankow
Thema: "Fremdstoffe in der Nahrung"


Die Umweltgruppe hatte sich im Vorfeld des Seminars vergeblich bemüht, einen Referenten aus einer staatlichen Einrichtung wie z. B. das Bezirkshygieneinstitut zu gewinnen. Da die Zusammenarbeit staatlicher Einrichtungen mit der Umweltgruppe offiziell nicht erwünscht war, lehnten es alle angefragten Referenten ab, auf dem Ökologieseminar Rede und Antwort zu stehen. Daraufhin entschloss sich Annette Beleites, zu dem Thema öffentlich zugängliche Literaturquellen zu sichten und aus den Informationen selbst ein Referat zu erarbeiten. Nach dem Seminar wurde das Manuskript im Landesjugendpfarramt der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Mecklenburgs vervielfältigt und Interessenten "zum innerkirchlichen Dienstgebrauch" zur Verfügung gestellt.


VI. Ökologieseminar 1987
28. – 29. März 1987
St. Petrusgemeinde in Schwerin – Großer Dreesch, Ziolkowskistr. 17
Thema: "Stadtgrün – statt grau"

Im Vorfeld dieses Seminars versuchte der Stadtrat für Inneres der Stadt Schwerin, Herr Wolfgang Heydrich, die Veranstaltung zu untersagen. Er führte dazu am 25. März ein Gespräch mit dem Pfarrer der Petrusgemeinde Matthias Burkhardt durch. Nach der Auffassung des SED-Funktionärs würde das geplante Ökologieseminar gegen die Veranstaltungsordnung verstoßen und sei eine Einmischung in innerstaatliche Angelegenheiten. Herr Burkhardt stellte sich jedoch couragiert hinter das Anliegen der Ökologiegruppe, so dass das Seminar wie geplant stattfinden konnte. Zu dem Seminar reisten etwa 60 Teilnehmerinnen und Teilnehmer an, die sich über die Möglichkeiten und die positiven Wirkungen der Begrünung von Straßen, Hinterhöfen, Schulhöfen, Fassaden und Parkanlagen informierten.


VIII. Ökologieseminar
11. – 12. März 1989
Katholisches Gemeindezentrum St. Andreas in Schwerin – Großer Dreesch
Galileo-Galilei-Str. 22
Thema: "Das geht auf keine Kuhhaut"


An diesem Seminar, das sich mit den Umweltproblemen in der Landwirtschaft auseinandersetzte, nahmen fast 200 Interessierte aus der gesamten DDR teil. In den Vorträgen und Diskussionsrunden wurde u.a. über die Massentierhaltung, die zunehmende Nitratbelastungen des Grundwassers, den Artenrückgang durch Großflächenwirtschaft und die Möglichkeiten alternativer Landwirtschaft berichtet und diskutiert. Die kirchliche Umweltgruppe Schwerin beabsichtigte, zu diesem Seminar auch einen Referenten aus der Bundesrepublik einzuladen. Wilfried Schumann war privater Landwirt in Pinneberg (Schleswig-Holstein) und daran interessiert, seine Erfahrungen vorzutragen. Der Druck der staatlichen Stellen wurde diesmal jedoch so erheblich, dass im Ergebnis Herr Schumann zwar anreisen, aber nicht vortragen durfte.
Trotz der vielen Drangsalierungen entwickelten sich die Schweriner Ökologieseminare in den 1980er Jahren zu DDR-weiten Treffen umweltengagierter Christen. Während an den ersten Seminaren etwa 30 Interessierte teilnahmen, erfuhren sie in den folgenden Jahren immer mehr Zuspruch. Zu den Seminaren Ende der 1980er Jahre reisten bis zu 200 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus der gesamten DDR nach Schwerin, um sich über staatlich ignorierte oder geheim gehaltene Umweltprobleme zu informieren und darüber zu diskutieren. Zwangsläufig gerieten sie damit immer mehr in den Blickwinkel der Staatßicherheit.


Demonstration gegen den Autobahnbau Schwerin – Wismar
Im Frühjahr 1983 engagierte sich die Schweriner Umweltgruppe gegen den geplanten Autobahnbau durch das Landschaftßchutzgebiet "Lewitz" südöstlich von Schwerin. Die Gruppe hatte vor, im Rahmen eines Umweltwochenendes mit einer Fahrraddemonstration entlang der vorgesehenen Trasse ihren Protest zum Ausdruck zu bringen und lud dazu über die Kirchenzeitungen ein. Allerdings gingen nur fünf Anmeldungen ein. Wie sich nach der Öffnung der Akten des Staatssicherheitsdienstes herausstellen sollte, hatte dieser seinerzeit hunderte Anmeldungen durch geheime Postkontrolle "abgefangen" und einbehalten. Darüber hinaus ließ die Staatssicherheit damals Zufahrtsstraßen nach Schwerin kontrollieren und hinderte Fahrradfahrer an der Einreise nach Schwerin. Die politische Geheimpolizei ließ es sich auch nicht nehmen, Waggons von Zügen abzukoppeln, die Fahrräder nach Schwerin transportieren sollten. Zudem wurde kurz vor Beginn der Demonstration ein Mitglied der Schweriner Umweltgruppe von der Staatssicherheit verhaftet und verhört. Aufgrund der Ereignisse entschlossen sich die Initiatoren kurzfristig, statt der geplanten Fahrraddemonstration das Wochenende mit den wenigen angereisten Teilnehmern im Pfarrhaus der St. Paulsgemeinde in der Bäckerstr. 2 zu verbringen.


Vorträge und Gemeindeabende
Zum Ende der 1980er Jahre wurden immer mehr Kirchgemeinden auf die Belange des Umweltschutzes aufmerksam. Viele Christinnen und Christen waren interessiert an Informationen, wie sie selbst im Alltag zum besseren Schutz der Umwelt beitragen können. Von staatlichen Stellen wurde dieses Bedürfnis ignoriert und verdrängt. Die kirchliche Umweltgruppe Schwerin stellte deshalb zu dem Thema "Umweltschutz im Haushalt" Materialien für Gemeindeabende zusammen und gab auf Gemeindeabenden praktische Hinweise, wie der Energieverbrauch gesenkt werden kann, Wasserverunreinigungen vermieden oder Abfallstoffe sauber entsorgt werden können.


Aktion "Mobil ohne Auto" 1987 und 1989
Seit 1981 rief das Kirchliche Forschungsheim in Wittenberg jährlich am Wochenende um den 5. Juni – dem Weltumwelttag – zur Aktion "Mobil ohne Auto" auf. An diesem Wochenende sollte symbolhaft auf die Nutzung des Autos verzichtet werden. Die Schweriner Umweltgruppe griff diesen Aufruf auf und lud in den Jahren 1987 und 1989 zu einer Radtour in die Umgebung Schwerins ein. Im Jahr 1987 hatte die Umweltgruppe eine Radtour nach Stapel an der Elbe vorbereitet. Etwa sechs Teilnehmer waren der Einladung zu dieser vergleichsweise langen Tour gefolgt.
Die Radtour am 04. Juni 1989 – dem Sonntag vor dem Weltumwelttag – begann um 10.00 Uhr mit einem Gottesdienst mit Pastor Hans-Jürgen Rietzke in der Schweriner Paulskirche. Nach dem von der Schweriner Umweltgruppe mitgestalteten Gottesdienst machten sich trotz Regenwetters etwa 40 Radfahrerinnen und Radfahrer auf den Weg nach Wittenförden. Die ungewöhnlich lange Schlange von Fahrrädern führte durch die Franz-Mehring-Str., über den Platz der Freiheit, durch die Rudolf-Breitscheid-Str., durch die Wittenburger Str. sowie über Neumühle und erregte die Aufmerksamkeit von zahlreichen Passanten und Autofahrern.
Wenige Tage vor der Fahrradtour nach Wittenförden, am 01.06.1989, suchte ein Mitarbeiter der Staatssicherheit Annette Beleites zu Hause auf. Der junge Mann wirkte entgegenkommend und zeigte sich sehr interessiert. Er versuchte herauszufinden, ob die Umweltgruppe beabsichtigte, staatlich nicht zugelassene Symbole während der Fahrradtour mitzuführen.


Eingaben an staatliche Stellen
In der DDR gab es nur die Möglichkeit, mit Eingaben gegen willkürliches Verwaltungshandeln vorzugehen. Daher verfassten die Mitglieder der Umweltgruppe immer wieder Schreiben an staatliche Stellen. Im Februar 1988 erreichte eine Eingabe von zwei Mitgliedern der Umweltgruppe den Rat der Stadt Schwerin, Abteilung Verkehrs- und Nachrichtenwesen. Sie wiesen auf die unzureichenden Verkehrsverbindungen für Radfahrer in der Stadt hin, forderten hierzu eine bessere Öffentlichkeitsarbeit und unterbreiteten konkrete Vorschläge für die Verbesserung der Radwegverbindungen vom Großen Dreesch in die Innenstadt und nach Schwerin-Süd.
Im Juli 1988 kritisierte Annette Beleites in einer Eingabe an den Oberbürgermeister den flächenhaften Herbizideinsatz in der Innenstadt Schwerins. Im September 1989 schrieb sie ebenfalls an den Oberbürgermeister der Stadt Schwerin und wandte sich gegen den Neubau einer Kaufhalle in der Wismarschen Straße, für den etliche Bäume hätten gefällt werden müssen. Außerdem sah sie die Gefahr, dass der geplante Neubau das benachbarte historische Gebäudeensemble beeinträchtigen könnte. Standortalternativen waren von der Verwaltung nicht geprüft worden.
Im September 1989 initiierte Mathias Baerens als Mitglied der Umweltgruppe einen offenen Brief, den Vertreter kirchlicher Umweltgruppen am 10. September 1989 an den DDR-Ministerrat und den Bundestag der Bundesrepublik sandten. In diesem Brief wurde gefordert, den Müllimport aus den westlichen Ländern in die DDR sofort zu stoppen. Ausgangspunkt für diesen Brief waren die zahllosen Mülltransporte aus westlichen Ländern unter anderem zu der Deponie "Ihlenberg" nordwestlich von Schönberg.


Einsatz gegen brennende Mülltonnen
Jedes Jahr zogen in den Wintermonaten dicke Rauchschwaden durch die engen Straßen der ostdeutschen Innenstädte. Die zahlreichen unsanierten Altbauten in den Stadtzentren hatten überwiegend Ofenheizungen, deren Abgase über die Schornsteine ins Freie gelangten und bei entsprechender Witterung oft nach unten in die Straßen gedrückt wurden. In Schwerin entstanden zusätzlich erhebliche Luftverunreinigungen durch brennende Müllcontainer. Denn die Abfallcontainer wurden von den Bewohnern der Innenstadt nicht nur mit Hausmüll, sondern auch mit heißer Asche befüllt, die während der Heizperiode täglich anfiel. In der Folge entzündete sich das Müllgemisch und es entstanden immer wieder Schwelbrände mit starker Rauchentwicklung. Die Mitglieder der Umweltgruppe sahen dem nicht tatenlos zu. Wer eine brennende Mülltonne im Wohnumfeld oder unterwegs bemerkte, suchte die nächste Telefonzelle auf und alarmierte die Feuerwehr. Diese rückte auch sofort aus und kam nach wenigen Minuten mit einem großen Löschfahrzeug zu dem betreffenden Container. Mit den zahlreichen Anrufen sollte nicht nur die Rauchgasentwicklung eingedämmt werden. Es war auch beabsichtigt, die Feuerwehr auf das Problem aufmerksam zu machen und die Bevölkerung für einen sorgsameren Umgang mit heißer Asche zu sensibilisieren.


Praktischer Naturschutz
Auf Kaninchenwerder und Ziegelwerder, zwei Inseln im Schweriner See, fanden jährlich im Herbst Mäharbeiten statt, um eine Verbuschung der offenen Wiesenflächen zu verhindern und so die Biotopvielfalt zu erhalten. Diese Arbeitseinsätze, an denen sich einige Mitglieder der Umweltgruppe regelmäßig beteiligten, begannen Sonnabendfrüh mit einer gemeinsamen Bootsfahrt auf die jeweilige Insel. Die zugewachsenen und teilweise verbuschten Wiesen wurden mit Sensen und Motorsägen gemäht und anschließend von den ehrenamtlichen Naturschutzhelfern beräumt Besonders intereßant waren die Arbeitseinsätze auf der Insel Ziegelwerder wie z. B. am 12. Oktober 1985 oder am 11. Oktober 1986, da man diese Insel ansonsten nicht betreten durfte.
Im Naturschutzgebiet "Nonnenhof" südwestlich von Neubrandenburg befanden sich ausgedehnte Orchideenwiesen, die durch Nährstoffeinträge und Nutzungsaufgabe zu verbuschen drohten. Ehrenamtliche Naturschutzhelfer aus der Region wie Gudrun Schubert, Ines Schäfer und Andreas Weber organisierten deshalb Arbeitseinsätze, um die Artenvielfalt und den Orchideenbestand auf diesen Wiesen zu erhalten. Sie luden u. a. für die Wochenenden vom 04. – 06. Oktober 1985, 04. – 06. September 1987 oder vom 30. September – 02. Oktober 1988 Umweltengagierte auch aus der Schweriner Umweltgruppe ein, damit die schwer zugänglichen Feuchtwiesen mit Sensen gemäht und das Mähgut mit Hand zusammengetragen werden konnte. Den Abschluss der Wochenenden am Sonntagvormittag bildeten Exkursionen in nahe gelegene Naturschutzflächen wie z. B. in das idyllisch gelegene Naturschutzgebiet am Südende des Tollensesees mit über 80 Brutvogelarten.
Die Arbeitseinsätze sind nur ein weiteres Beispiel dafür, dass die Mitglieder der Umweltgruppe nicht nur diskutierten, sondern auch praktisch vielerorts wirkten.


Überwachung durch die Staatssicherheit
Erst nach der Öffnung der Unterlagen des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) wurde das Ausmaß der Überwachung und der versuchten Einflussnahme des MfS auf die Aktivitäten der kirchlichen Umweltgruppe sichtbar. Nach Ansicht der Staatssicherheit handelte es sich bei dem Engagement der Gruppe um "politische Untergrundtätigkeit", die die DDR beseitigen wolle. Mehrere politische Akteure der Gruppe wurden deshalb vom MfS überwacht und bespitzelt. In der Schweriner Umweltgruppe gab es mindestens einen Inoffiziellen Mitarbeiter (IM), der über die Arbeit der Umweltgruppe Berichte für die StaatSsicherheit anfertigte. Die Bezirksverwaltung Schwerin des Ministeriums für Staatssicherheit stufte unter anderem Annette Beleites als "feindlich-negative" Kraft ein und beobachtete sie ab Mai 1987 in einer "Operativen Personenkontrolle" (OPK). Zu dieser operativen Personenkontrolle gehörten 16 Einzelmaßnahmen, mit denen eine lückenlose Kontrolle und Dokumentation der Aktivitäten von Annette Beleites erreicht werden sollte. Neben dem Einsatz von acht Inoffiziellen Mitarbeitern (IM) waren u. a. eine Telefonüberwachung, die Überprüfung der Nachbarn im Wohnhaus, die Erfassung von Kontaktdaten in westliche Länder, die Sicherstellung von Fotomaterial, die Kontrolle von Schriftproben und die Überprüfung des unmittelbaren Umgangskreises von Annette Beleites vorgesehen. Darüber hinaus sollte sie in Gesprächen mit staatlichen Funktionären von ihrem Handeln abgebracht werden und als Inoffizielle Mitarbeiterin für das MfS angeworben werden. Der Staatssicherheit gelang es jedoch weder, die Aktivitäten von Annette Beleites einzuschränken noch sie als Inoffizielle Mitarbeiterin anzuwerben. Im Gegenteil: Die Arbeit der Umweltgruppe wurde professioneller und die überregionalen Kontakte zu anderen Gruppen der Friedens- und Umweltbewegung in der DDR intensivierten sich.


Auflösung der kirchlichen Umweltgruppe
Unter den neuen politischen Verhältnissen begannen ab 1991 mehrere überregionale Umweltverbände wie die Grüne Liga, der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) sowie der Naturschutzbund (NABU), in Schwerin Regionalgruppen zu bilden. Darüber hinaus etablierte sich ein Kreisverband der Grünen Partei. Mit den völlig anderen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen erübrigte sich die Weiterarbeit der kirchlichen Umweltgruppe in der bisherigen Art und Weise und die Gruppe löste sich auf.



Quellen und weiterführende Literatur

Beleites, Annette: "Die Arbeit der Kirchlichen Umweltgruppen in der DDR" Politische Ökologie, Januar 1990, 8. Jahrgang, S. 43, Hrsg: Ernst-Friedrich-Schumacher-Gesellschaft für politische Ökologie e. V. München

"Das Ende des Burgfriedens" Interview mit Heiko Lietz, Mecklenburgische und Pommersche Kirchenzeitung vom 04. Mai 2014 (Nr. 18), S. 5

Neubert, Ehrhart: "Geschichte der Opposition in der DDR 1949 – 1989" Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn 1997

"PFLANZZEIT – Die kirchliche Umweltbewegung in der DDR – Impulse und Wirkungen" von Michael Beleites, Hrsg.: Kirchliches Forschungsheim Wittenberg, 1999

Pingel-Schliemann, Sandra: "Widerständiges Frauenleben" Mecklenburgische und Pommersche Kirchenzeitung vom 24. November 2013 (Nr. 47), S. 4

Pingel-Schliemann, Sandra; Hilbert, Doreen: "Frauen der Friedlichen Revolution 1989" Zwanzig Porträts aus Mecklenburg-Vorpommern. Hrsg.: Landeszentrale für politische Bildung Mecklenburg-Vorpommern, Schwerin 2014

Robert-Havemann-Gesellschaft e.V. Berlin, Archiv der DDR-Opposition

Privatarchiv Annette Beleites



Presseartikel in der Mecklenburgischen Kirchenzeitung und im Friedensnetz

MKZ 10.05.1987 "Jubilate – Freuet euch!"

MKZ 07.06.1987 "Der Zerstörung entgegenwirken"

MKZ 16.10.1988 "An die Verantwortung erinnern" Die Theobalt-Konferenz auf Gotland Teil I

MKZ 30.10.1988 "An die Verantwortung erinnern" Die Theobalt-Konferenz auf Gotland Teil II

MKZ 30.10.1988 "Die Atmosphäre in Magdeburg war vertrauter"

MKZ 11.11.1988 "Wie arbeiten Gemeinden und Umweltgruppen zusammen?"

MKZ 19.02.1989 Nr. 8 Einladung zum VIII. Schweriner ökologieseminar

MKZ 18.06.1989 Einladung zur Aktion "Mobil ohne Auto"

MKZ 01.10.1989 "Vor und nach der Ernte" über Folgen unserer Ernährungsgewohnheiten

MKZ 19.11.1989 "Kirchliche Umweltgruppen kamen zu Wort"

Friedensnetz 5/88 S. 2/3 "DDR – weites Treffen von delegierten Vertretern christlicher Umweltgruppen" (28. – 30.10.1988)